"Klarheit, Verantwortung, Rückgabe": Neue Leitlinien für koloniales Erbe und Handreichung zum Umgang mit NS-Raubgut

Auf Einladung von Staatsminister für Kultur und Medien Wolfram Weimer trafen sich heute Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände im Bundeskanzleramt und verständigten sich auf weitreichende Schritte zur Aufarbeitung historischen Unrechts.
Im Mittelpunkt des 23. Kulturpolitischen Spitzengesprächs standen die "Gemeinsamen Leitlinien zum Umgang mit Kulturgütern und menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten" sowie die Umsetzung der "Gemeinsamen Erklärung" zur Auffindung und Rückgabe von NS-Raubgut.
In den Leitlinien verständigen sich Bund, Länder und Kommunen auf konkrete Empfehlungen, um Rückgaben von Kulturgut und menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten aus öffentlichen Museen und Sammlungen weiter zu erleichtern. Vorgesehen ist unter anderem die Schaffung eines staatlich mandatierten Gremiums aus Bund, Ländern und Kommunen, das als zentraler Ansprechpartner für die Herkunftsregierungen und ihre Organe dient, sowie ein interdisziplinäres und internationales Expertennetzwerk, das Museen, Sammlungen und ihre Träger fachlich berät.
Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien: "Der Kolonialismus beruhte auf Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung. Es ist unsere Verantwortung, dieses Unrecht klar zu benennen und aufzuarbeiten – auch im Umgang mit Kulturgütern und menschlichen Überresten, die während der Kolonialzeit nach Deutschland gelangten. Die Verständigung von Bund, Ländern und Kommunen auf die Gemeinsamen Leitlinien ist ein wichtiger Schritt. Sie bekräftigt unser gemeinsames Ziel, die Provenienz und Geschichte dieser Objekte in Museen und Sammlungen verantwortungsvoll und in engem Austausch mit den Herkunftsgesellschaften weiter aufzuarbeiten. Mit den Gemeinsamen Leitlinien haben wir nun einen klaren Rahmen, an dem sich öffentliche Museen und Sammlungen und ihre Träger orientieren können. Auch mit der Neufassung der Handreichung zur Umsetzung der ‚Gemeinsamen Erklärung‘ zur Auffindung und Rückgabe von NS-Raubgut geben wir der Praxis zentrale Hilfestellungen an die Hand und sorgen so für mehr Klarheit. Damit sind nun die wesentlichen Schritte für den Start der neuen Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut zum 1. Dezember getan, die neue Bewegung in die Aufarbeitung historischen Unrechts bringen wird.“
Serap Güler, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: "Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte gehört zum demokratischen Grundkonsens in Deutschland. Die Gemeinsamen Leitlinien bekräftigen die Absicht der Bundesregierung, die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit weiter zu intensivieren. Die geplante Schaffung eines zentralen Koordinierungsgremiums aus Bund, Ländern und Kommunen ist für unsere internationalen Partner von großer Bedeutung und ein wichtiges Zeichen, dass wir klare Verfahren schaffen, innerhalb derer Bund, Länder und Kommunen an einem Strang ziehen.
Mit der Schaffung der Schiedsgerichtsbarkeit für NS-Raubgut verfolgen wir das Ziel, die Position von Opfern historischen Unrechts zu stärken und, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern weiter zu erleichtern."
Barbara Klepsch, Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus und Präsidentin der Kulturministerkonferenz der Länder: "Die Gemeinsamen Leitlinien sind mehr als ein Regelwerk – sie sind ein Bekenntnis zu Verantwortung und Respekt. Wir nehmen unsere koloniale Vergangenheit ernst und handeln. Das ist ein starkes Signal für die internationale Zusammenarbeit. Ebenso wichtig ist die Gemeinsame Reform zur Schiedsgerichtsbarkeit für NS-Raubgut: Sie schafft Gerechtigkeit für heute noch offene Fälle. Die Länder stehen geschlossen hinter diesen Schritten, und die Kulturministerkonferenz wird weiter dafür sorgen, dass diese Grundsätze gelebte Praxis werden."
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Thomas Berberich
Christian Schuchardt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, für die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände:
"Die Kommunen sind mit ihren kommunalen Sammlungen bereit, ihren Teil zur Aufarbeitung kolonialen Unrechts zu leisten. Es ist darum gut, dass es nun gelungen ist, mit gemeinsamen Leitlinien einen klaren Rahmen zu schaffen."
Erarbeitet wurden die Leitlinien von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Einbindung von Museumsleitungen, internationalen Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern der Zivilgesellschaft. Die Leitlinien bauen auf den 2019 verabschiedeten "Ersten Eckpunkte zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" auf. Sie richten sich vorrangig an öffentliche Museen und Sammlungen, ihre Träger sowie an die Kulturpolitik, bieten aber auch Herkunftsstaaten und -gesellschaften Orientierung über die Verfahren in Deutschland.
Zugleich verabschiedeten die Teilnehmenden die Neufassung der "Handreichung zur Umsetzung der ‚Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" vom Dezember 1999.
Die umfassend überarbeitete Neuausgabe wurde auch durch die Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut notwendig. Sie enthält verschiedene inhaltliche Neuerungen und umfasst u. a. "Erläuterungen zum Bewertungsrahmen für Schiedsgerichte der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut". Der Bewertungsrahmen enthält Kriterien, anhand derer gerechte und faire Lösungen für heute noch offeneFälle ermöglicht werden und löst die bisherige "Orientierungshilfe" ab.
Die Grundlagendokumente der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut stehen auf Deutsch, Englisch, Französisch und Hebräisch zur Verfügung: zu den Dokumenten