Vor Gipfel zur Corona-Strategie
14.10.2020

"Wir müssen einen zweiten Lockdown abwenden"

Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages, im Gespräch mit der Passauer Neuen Presse vor dem Gipfel der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten

PNP: Herr Jung, die Zahl der Corona-Infektionen ist sprunghaft angestiegen. Droht jetzt ein zweiter Lockdown?

Burkhard Jung: Wir müssen einen zweiten Lockdown abwenden. Unser ganzes Land würde schwer getroffen, wenn Schulen, Kitas, Geschäfte und Gastronomie wieder schließen müssten. Das kann niemand wollen. Deshalb appellieren wir als Städte an die Bevölkerung, den Anstieg der Infektionszahlen sehr ernst zu nehmen. Wir alle müssen daran mitwirken, dass es nicht zu einem zweiten Lockdown kommt. Vor allem müssen wir die Schulen und Kitas offenhalten können. Und die Wirtschaft darf keinen neuen Rückschlag erleiden. Das ist unser großes gemeinsames Interesse als gesamte Gesellschaft.     

PNP: Kanzlerin Angela Merkel trifft sich heute erneut mit den Ministerpräsidenten. Was erwarten Sie von dem Gipfel?

Burkhard Jung:  Für mich ist dieser Gipfel der wichtigste seit Monaten. Denn die nächsten Wochen werden darüber entscheiden, ob wir die Corona-Pandemie im Griff behalten. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, zwischen Bund und Ländern zu einer einheitlichen Strategie für den schwierigen Herbst und Winter zu kommen. Und die nötigen Schritte müssen gut erklärt werden, damit die Menschen sie nachvollziehen können und dabei mitmachen. Wir brauchen einen Stufenplan mit einem bundesweit einheitlichen Vorgehen. Das heißt: Wenn die Grenze von 35 oder 50 Infektionen je 100.000 Einwohner überschritten wird, sollten alle Länder die gleichen Maßnahmen ergreifen.

PNP: Soll es dann keine regionalen Unterschiede bei hohen Infektionszahlen mehr geben?

Burkhard Jung: Unterschiede muss es weiterhin geben können. Richtig bleibt, im Detail regional zu differenzieren und die Infektionsherde zu betrachten: Wenn zum Beispiel in Pflegeeinrichtungen kein Anstieg der Infektionen zu beobachten ist, müssen in Städten mit mehr als 50 Infektionen je 100.000 Einwohner nicht zwingend Besuchsverbote ausgesprochen werden.

PNP: Besonders umstritten ist das Beherbergungsverbot für Menschen aus Risikogebieten in anderen Bundesländern. Wie sinnvoll ist diese Regel?

Burkhard Jung: Wir sehen an der Diskussion der vergangenen Tage, dass diese Regelung für viel Unruhe und Unsicherheit sorgt. Unruhe bei Tausenden, die in den Herbstferien verreisen wollen, bei der Hotellerie, bei vielen Städten. Viele Menschen verstehen diese Regelung nicht und sie sorgt für Ungleichheit, obwohl wir gerade in der Krise Zusammenhalt brauchen. Von Übernachtungen im Hotel in Deutschland ist bisher kein besonderes Risiko ausgegangen, und auch dort gelten ja Hygieneregeln. Deshalb überzeugt mich das Beherbergungsverbot nicht. 

PNP: Bayerns Ministerpräsident Söder fordert härtere Strafen bei Verstößen gegen die Corona-Regeln wie die Maskenpflicht. Müssen die Sanktionen verschärft werden?

Burkhard Jung: Natürlich müssen Verstöße gegen die Corona-Regeln auch geahndet werden. Hierzu haben sich Bund und Länder ja bereits Ende August auf ein Bußgeld von mindestens 50 Euro geeinigt. Ob in der Runde am Mittwoch ein höherer Mindestbetrag beraten wird und Konsens findet, bleibt abzuwarten.

PNP: Die Zahl der Corona-Infektionen von Schülern steigt. Werden die Schulen jetzt zu neuen Hotspots? Sollten die Weihnachtsferien verlängert werden?

Burkhard Jung: Wo Schulen vorübergehend geschlossen werden müssen, muss es bald wieder mit dem Unterricht weitergehen. Kinder und Jugendliche dürfen nicht zu Verlierern der Pandemie werden. Deshalb muss alles getan werden, Schulen offenzuhalten und Bildung weiter zu ermöglichen. Über die Weihnachtsferien will ich nicht spekulieren. Wir haben jetzt Mitte Oktober und können hoffentlich erreichen, dass die Pandemie nicht außer Kontrolle gerät. Das ist die große Aufgabe, vor der wir jetzt alle gemeinsam stehen.

Mit freundlicher Genehmigung der Passauer Neuen Presse, www.pnp.de