Städte entlasten, Aufnahmekapazitäten ausbauen
23.11.2022

"Städte stehen zu humanitärer Verantwortung"

Deutscher Städtetag nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss: Jetzt gut auf Geflüchtete im Winter vorbereiten

Die Städte unterstreichen ihre Bereitschaft, den geflüchteten Menschen in der akuten Notlage und darüber hinaus zu helfen. Bund und Länder müssten allerdings die Städte weiter entlasten, etwa durch eine bessere Verteilung der Geflüchteten, sowie die Kapazitäten für die Erstaufnahme deutlich ausbauen. Die Städte verurteilen jegliche Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und fordern alle gesellschaftlichen Akteure auf, fremdenfeindlichen Tendenzen entschieden Paroli zu bieten.

  • Porträtbild von Burkhard Jung, seit 2021 Vizepräsident des Deutschen Städtetages, von 2019 bis 2021 Präsident des Deutschen Städtetages

Der Vizepräsident des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister Burkhard Jung aus Leipzig, sagte nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des kommunalen Spitzenverbandes in Hannover:

"Die Städte stehen weiter fest an der Seite der Ukraine. Die Menschen, die vor dem Elend des brutalen russischen Angriffskrieges in ihrer Heimat fliehen müssen, brauchen offene Türen. Wir übernehmen humanitäre Verantwortung. Wir brauchen den Schulterschluss von Bund, Ländern und Kommunen für die Versorgung von Geflüchteten. Das gilt gleichermaßen für Asylsuchende aus anderen Herkunftsländern. Vielen geflüchteten Menschen konnten wir mit Unterstützung engagierter Bürgerinnen und Bürger bereits helfen. Aber wir blicken mit Sorge auf den kommenden Winter. Die Aufnahmekapazitäten sind vielerorts erschöpft, Zeltunterkünfte und Turnhallen müssen bereits genutzt werden. Der Krieg in der Ukraine tobt weiter und mit sinkenden Temperaturen und angesichts von zerstörten Versorgungsleitungen und Kraftwerken erwarten wir, dass weitere Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land verlassen müssen."

Auch Geflüchtete anderer Regionen, auch aus Kriegsgebieten, suchen nach wie vor Sicherheit in unserem Land. Darauf müssen wir uns noch besser vorbereiten. Jung betonte:

"Wir wollen niemanden auf der Straße stehen lassen. Deshalb müssen wir erstens wissen, auf welche Szenarien wir uns einstellen müssen. Die Bundesregierung muss ihr Lagebild mit den Kommunen teilen und alle Ebenen frühzeitig über Fluchtbewegungen informieren. Deutschland sollte zweitens die Ukraine verstärkt beim Wiederaufbau von zerstörten Infrastrukturen unterstützen. Mehr Städte in der Ukraine müssen wieder winterfest werden."

Das helfe der ukrainischen Regierung bei ihrem Bemühen, Fluchtbewegungen innerhalb der Ukraine in sichere Gebiete zu ermöglichen und den Menschen ihre Heimat zu erhalten.

"Der Bund muss drittens die Verteilung verbessern, das gilt auch für die EU-weite Verteilung. Und viertens: die Länder müssen die Plätze in ihren eigenen Erstaufnahme­ einrichtungen deutlich aufstocken und dauerhafte bezugsfertige Kapazitäten errichten, die die Kommunen gegebenenfalls betreiben könnten“, so Jung.

Noch seien die Länder weit entfernt von den Aufnahmekapazitäten der Jahre 2015 und 2016. Aber bei der Anzahl der Geflüchteten insgesamt, die dieses Jahr in Deutschland ankamen, sind wir schon längst darüber hinaus. Jung sagte:

"Wir erkennen an, dass Bund und Länder mehr Unterstützung für die Kommunen zugesagt haben. Aber in den großen Städten haben wir kaum mehr ein freies Bett für Geflüchtete zur Verfügung. Die Städte strecken sich, bauen Notunterkünfte und Containerdörfer auf, aber das allein reicht nicht. Bund, Länder und Kommunen sind in einer Verantwortungsgemeinschaft. Das müssen wir vor Ort jetzt spüren."

Die Zahlen steigen: Zurzeit sind rund 1,1 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland registriert. Bis Ende Oktober haben zusätzlich rund 160.000 Menschen aus anderen Herkunftsländern Asylanträge gestellt, Tendenz auch hier steigend.

Die Zusage der Bundesinnenministerin über 60 weitere Bundesimmobilien für die Unterbringung von Geflüchteten bereitzustellen, sei zwar gut, müsse aber nun schnell und praxistauglich umgesetzt werden. Viele Objekte müssten zunächst auf Eignung geprüft und eingerichtet werden.

Die Anschläge und Aktionen gegen Unterkünfte für Geflüchtete in einer Reihe von Städten und Gemeinden verurteilen die Städte scharf:

"Unterkünfte für Geflüchtete in Brand zu setzen oder Menschen anderer Herkunft anzugreifen ist hinterhältig und verabscheuungswürdig. Es sind Taten wider die Menschlichkeit. Wir fordern alle gesellschaftlichen Akteure auf, fremdenfeindlichen Tendenzen entschieden Paroli zu bieten", unterstrich Jung.
 

Finanzierung über unmittelbare Nothilfe hinaus sichern

Bei der Finanzierung der Leistungen für Geflüchtete sei nun Tempo gefragt, betonte Jung:

"Der Bund hat weitere 1,5 Milliarden Euro für die Versorgung und Unterbringung Geflüchteter für dieses Jahr zugesagt. Wichtig ist zunächst, dass das Geld schnell und vollständig bei den Städten ankommt. Dafür haben die Länder Sorge zu tragen. Im kommenden Jahr sind 1,5 Milliarden Euro für die ukrainischen Geflüchteten vorgesehen und die allgemeine flüchtlingsbezogene Pauschale soll auf 1,25 Milliarden Euro verstetigt werden. Wir müssen uns aber ehrlich machen: Das Geld, das auf den Tisch kommen soll, wird nicht ausreichen. Spätestens Ostern müssen wir über weitere Mittel reden. Und wenn die Bundesmittel nicht reichen, dann sind auch die Länder in der Pflicht, nachzulegen."

Noch völlig offen sei, wie die langfristige Integration finanziert werden soll. Der Bund habe bislang keine Perspektive für die zusätzlich notwendigen Investitionen in den Städten aufgezeigt. Jung mahnte:

"Die Städte müssen massiv investieren können. Wir brauchen mehr Kitaplätze. Wir brauchen mehr Schulen. Wir brauchen mehr Wohnraum. Die Bewältigung dieser Herausforderungen können wir nicht einfach in die nächsten Jahre vertagen. Die Planungen müssen unmittelbar beginnen, damit wir rasch die notwendige Infrastruktur aufbauen können."