Präsidium
07.05.2020

Beschlüsse von Bund und Ländern zum weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie

Beschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetages - Telefonkonferenz

1. Rücknahme von Beschränkungen und Notfallmechanismus

Die Menschen in Deutschland haben in den zurückliegenden Wochen viel Einsicht und Disziplin bewiesen. Gemeinsam ist es gelungen, das Infektionsgeschehen zurückzudrängen. Die Städte begrüßen, dass Bund und Länder mit ihren gestrigen Beschlüssen den Menschen jetzt Perspektiven aufzeigen, wie eine stufenweise Rücknahme der Beschränkungen möglich ist. Es gilt aber weiterhin verantwortungsvoll mit sozialen Kontakten sowie Hygiene- und Abstandsregelungen umzugehen. Es ist daher richtig, das Abstandsgebot, die Kontaktbeschränkungen und die Maskenpflicht in bestimmten öffentlichen Bereichen bis zum 5. Juni 2020 grundsätzlich aufrecht zu erhalten.

Das Präsidium betont die hohe Verantwortung von Bund und Ländern bei den Entscheidungen zu einer Rückkehr in eine neue Normalität. Jeder Schritt setzt eine oftmals schwierige Güterabwägung voraus. Die Städte begrüßen, dass regionalen Entscheidungen über Lockerungen große Bedeutung zukommen soll. Damit kann so flexibel entschieden werden, wie es im weiteren Verlauf dieser Pandemie wohl nötig sein wird. Das Infektionsgeschehen bleibt dabei ein gewichtiger Faktor.

Die Umsetzung von Maßnahmen zum Umgang mit der Corona-Pandemie ist komplex. Die Städte benötigen hierfür eine angemessene Vorlaufzeit. Entscheidungen von Bund und Ländern können nicht über Nacht verantwortungsvoll umgesetzt werden.

Entscheidend ist, dass politische Entscheidungen nachvollziehbar sind und klar und verständlich kommuniziert werden. Nur dann werden die Menschen mit Vertrauen und Akzeptanz reagieren. Wer versteht, warum eine Regelung sinnvoll ist, wird eher bereit sein, sie einzuhalten. Und er wird eher verstehen, warum auf das Infektionsgeschehen regional oder sogar lokal unterschiedlich reagiert werden kann.

Der beschlossene Notfallmechanismus mit einer Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb der letzten sieben Tage ermöglicht es, auf das Infektionsgeschehen regional oder lokal reagieren zu können. Damit wird bei einem lokal begrenzten Ausbruch nötigenfalls nur dort gehandelt und nicht gleich landes- oder bundesweit. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben kann dann in anderen Regionen Deutschlands weiterlaufen. Jedoch sollte bei einem lokalen Ausbruchsgeschehen eine regionale oder überregionale Abstimmung der notwendigen Maßnahmen erfolgen.

2. Kindertagesbetreuung

Es ist richtig, die Betreuungssituation der Kinder und die Herausforderungen der Familien noch stärker in den Blick zu nehmen. Die Städte wissen um die aktuell große Belastung von Familien und gerade auch von Alleinerziehenden. Sie halten es daher für wichtig, die Notbetreuung auch für Alleinerziehende und Kinder mit besonderen Förderbedarfen oder Beeinträchtigungen zeitnah wieder auszuweiten.

Es sollte Ziel sein, jedem Kind so schnell wie möglich wieder frühkindliche Bildungsangebote machen zu können. Das Prinzip des Abstandhaltens ist bei Kindern bis zu 6 Jahren nicht umsetzbar. Der Infektionsschutz erfordert deshalb die Betreuung in kleinen Gruppen und besondere Raumkonzepte. Zudem sind vulnerable Gruppen unter den Beschäftigten, den Kindern und ihren Angehörigen zu schützen. Das verfügbare Personal und die vorhandenen Räume begrenzen daher die Möglichkeiten. Die Städte und die Träger der Kindertageseinrichtungen werden anhand der verfügbaren Ressourcen und der individuellen Bedarfe über die Möglichkeiten der Kindertagesbetreuung entscheiden müssen.

In den Städten ist der Bedarf an Kindertagesbetreuung für die genannten Gruppen unterschiedlich stark ausgeprägt. Es ist daher klug, dass sich Bund und Länder auf einen Stufenplan zur Kinderbetreuung verständigt haben. Die konkreten Prioritäten bei der stufenweisen Wiedereröffnung der Kitas und der Tagespflege können auf dieser Grundlage vor Ort verbindlich festgesetzt werden.

3. Schulen

Die Wiederöffnung des Schulbetriebes für bestimmte Gruppen in einem ersten Schritt ist alles in allem gut gelungen und sollte konsequent weiterverfolgt werden. Auch weiterhin sind pädagogische Vorgaben, organisatorische Fragen und der Infektionsschutz in Einklang zu bringen. Um die umfangreichen Anforderungen an Raumkonzepte, Hygienevorschriften und Organisation der Schülerverkehre erfüllen zu können, benötigen die Städte bei jedem Schritt zur Öffnung der Schulen eine angemessene Vorlaufzeit. Das von der Kultusministerkonferenz vorgelegte Konzept zur Wiederaufnahme des Unterrichts in Schulen stellt einen tauglichen Rahmen dar. Darüber hinaus sind konkrete Vorgaben der Länder zu Umfang des Unterrichts, Größe der Lerngruppen und Organisation des Schulbetriebs erforderlich. Entsprechende Konzepte müssen mit den kommunalen Schulträgern abgestimmt werden. Das gilt auch für die Erarbeitung von Hygienekonzepten und Schutzmaßnahmen.

Außerdem muss auf die besonderen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern eingegangen werden. Digitales Lernen sollte auch ohne entsprechende private Ausstattung und Infrastruktur gewährleistet werden. Die von der Bundesregierung vorgesehene Bezuschussung von Laptops für Schülerinnen und Schülern aus einkommensschwachen Haushalten muss unbürokratisch umgesetzt werden. Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten oder herausforderndem häuslichen Umfeld müssen individuell gefördert werden. Investitionen in die Digitalisierung von Schulen sind Zukunftsinvestitionen.

4. Pflegeheime

Durch die corona-bedingten Beschränkungen sind viele Menschen in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Senioren- und Behinderteneinrichtungen der Gefahr sozialer Isolation ausgesetzt. Das Präsidium begrüßt deshalb nachdrücklich, dass in alle Konzepte zum Infektionsschutz in diesen Einrichtungen die Möglichkeit eines regelmäßigen Besuchs durch jeweils eine Kontaktperson eingearbeitet werden muss. So lassen sich Infektionsschutz und Menschenwürde auch in diesen Einrichtungen in Einklang bringen.

5. Einzelhandel

Das Präsidium unterstützt die Entscheidung von Bund und Ländern, alle Geschäfte ungeachtet ihrer Größe unter Berücksichtigung der spezifischen Abstands- und Hygieneanforderungen im Einzelhandel wieder zu öffnen. Die Umsetzung der notwendigen Schutzmaßnahmen sollten die Unternehmen in eigener Verantwortung sicherstellen.

6. Gastronomie und Tourismus

Das Präsidium begrüßt auch die Vereinbarung zur schrittweisen Öffnung von Gastronomie- und Tourismusangeboten unter bundesweit vergleichbaren Maßstäben. Dies soll nach den Hygiene- und Abstandskonzepten der Wirtschaftsministerkonferenz erfolgen. Öffnungen für Bars, Kneipen und Diskotheken werden erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehen werden können.

Die Regelungen zum Öffnen von Restaurants und von Tourismusangeboten sollten in den Ländern gemeinsam mit den Städten fortlaufend weiterentwickelt werden. Nur auf diesem Weg können regionale Besonderheiten sowie unterschiedliche verkehrliche und städtebauliche Gegebenheiten in den Städten berücksichtigt werden.

Das Präsidium fordert den Bund auf, vor dem Hintergrund unterschiedlicher Öffnungsperspektiven im Bereich der Gastronomie die Notwendigkeit spezieller Rettungsprogramme zu prüfen. Insbesondere kleinere Betriebe können in existenzgefährdende Notlagen geraten. Gerade sie bringen eine attraktive und lebendige Vielfalt in die Innenstädte.

7. Kultur und Sport

Kultur und Sport sind wichtige Teile des gesellschaftlichen Lebens. Eine Öffnung sollte in diesen Bereichen differenziert nach sorgfältiger Abwägung erfolgen. Räumliche Distanz und Kontaktintensität sind dabei wichtige Parameter. Die Öffnung von öffentlichen Bibliotheken, Archiven und der Museen sind richtige Schritte. Entsprechend den gestrigen Vereinbarungen sind die Länder aufgefordert, Szenarien für weitere Öffnungen im Kulturbereich in enger Abstimmung mit den Städten zu entwickeln.

Die Öffnung von Sportstätten wird differenziert erfolgen müssen. Neben der Art des Sports werden Hygienekonzepte und Schutzmaßnahmen darüber entscheiden, zu welchem Zeitpunkt Aktivitäten wieder aufgenommen werden können. Individualsportarten sowie die Sportausübung im Freien eigenen sich für frühzeitige Lockerungen. Das Konzept der Sportministerkonferenz stellet eine geeignete Grundlage für die schrittweise Öffnung der Sportstätten und des Sportbetriebes dar. Auch hier gilt es, auf der Länderebene konkrete Schritte gemeinsam mit den Kommunen zu entwickeln. Viele Mannschaftssportarten und Veranstaltungen mit Publikum dürften in naher Zukunft nicht möglich sein. Es bedarf dringend einer konkreten Definition von Großveranstaltungen.

Das von der Deutschen Fußball Liga (DFL) vorgelegte Konzept für eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs reicht nicht aus und muss nachgebessert werden. Es ist absehbar, dass sich Fans vor den Stadien treffen. Die Städte halten es deshalb für sehr wichtig, das Stadionumfeld noch stärker in den Blick zu nehmen. Das Konzept der DFL darf sich nicht nur auf den Infektionsschutz im Stadion oder auf Unterbringung und häusliche Hygiene der Spieler konzentrieren. Die Polizei steht ebenso in der Verantwortung, Ansammlung von Fangruppen zu verhindern.

8. Öffentlicher Gesundheitsdienst

Die Städte haben es bisher mit pragmatischen und zielgerichteten Maßnahmen erreicht, Infektionsketten erfolgreich nachzuvollziehen. Sie sind darauf eingestellt, auch kurzfristig Personal aus anderen Ämtern und Fachbereichen in den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu beordern. Die von Bund und Ländern beschlossene Vorgabe eines festen Personalschlüssels ist kontraproduktiv. Sie schränkt die Flexibilität unnötig ein, die die Städte gerade in dieser Situation benötigen. Die Testkapazitäten sind weiter auszubauen.

Die Städte begrüßen es ausdrücklich, dass Bund und Länder den öffentlichen Gesundheitsdienst stärken wollen. Dazu sollte bei Bedarf auch eine personelle Unterstützung gehören. Ein wichtiges Instrument ist weiterhin, die Anzahl der Studienplätze der Fachrichtung „Öffentliches Gesundheitswesen“ an medizinischen Fakultäten zu erhöhen. Auch ließe sich die Approbationsordnung für Ärzte anpassen, so dass Famulatur und Praktisches Jahr flächendeckend auch im öffentlichen Gesundheitsdienst absolviert werden können.

9. Corona Apps

Digitale Lösungen können einen Beitrag dazu leisten, Infektionsketten schneller und lückenloser nachzuvollziehen. Für den Einsatz und Erfolg der sogenannten Tracing App ist die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger entscheidend. Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass durch die Nutzung der App ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht verletzt wird. Eine verpflichtende Nutzung der App lehnen die Städte ab. Um das höchste Maß an Datenschutz zu bieten, müssen die gesammelten Daten dezentral gespeichert und der Quellcode offengelegt werden. Die Festlegung der Bundesregierung auf das Modell der dezentralen Speicherung ist daher ein wichtiger Schritt. Die kommunale Perspektive muss bei der Entwicklung der App dringend herangezogen werden.

10. Busse und Bahnen

Die schrittweise Rückkehr zu einem umfassenden Angebot im ÖPNV nötigt den Verkehrsunternehmen große Anstrengungen ab. Den Anforderungen eines Verkehrsangebots, das den Gedanken des Infektionsschutzes ernst nimmt, steht ein massiver Ausfall von Beförderungsentgelten gegenüber. Die Schätzungen des VDV belaufen sich auf gut 4 Mrd. Euro für das Jahr 2020. Das wird die kommunalen Haushalte zusätzlich belasten. Zur Aufrechterhaltung der Liquidität der Unternehmen und zur Sicherung ihres Bestandes sind Hilfen von Bund und Ländern erforderlich. Ein denkbarer Weg wäre die Kompensation der entfallenden Fahrgastentgelte über die Aufstockung der Regionalisierungsmittel.

11. Finanzielle Hilfen

Die kommunalen Haushalte werden so hohe Einbußen erleiden, wie wir sie in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gesehen haben. Die Städte schultern in der Corona-Krise viele Aufgaben. Sie unterstützen Bund und Länder mit ganzer Kraft, um diese Krise zu meistern. Die Bewältigung der Krise kann nur mit den Städten gelingen. Es muss ureigenes Interesse von Bund und Ländern sein, die Städte handlungsfähig und lebenswert zu erhalten.

Deswegen brauchen die Städte jetzt und in den kommenden Monaten einen finanziellen Rahmen, der ihre Handlungsfähigkeit sicherstellt. Jetzt in der Krise wird überdeutlich, welch entscheidende Rolle den Städten und ihren Einrichtungen und Unternehmen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine funktionierende Infrastruktur zukommt. Es liegt auch im Interesse von Bund und Ländern, die kommunale Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Die Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung müssen fortlaufend korrigiert werden – das Ausmaß der erwarteten Rezession wird zunehmend größer. Bereits jetzt erscheinen kommunale Mindereinnahmen und Mehrbelastungen in einer Größenordnung von 20 Mrd. Euro und mehr unvermeidbar. Die Städte fordern Bund und Länder dringend auf, zusätzlich zu dem Rettungsschirm für die Wirtschaft einen kommunalen Rettungsschirm zu schaffen. Das Präsidium begrüßt die Ankündigung des Bundesfinanzministers, noch vor der Sommerpause einen Vorschlag vorzulegen, wie der Bund den Städten bei den corona-bedingten Mehrbelastungen helfen will. Diesen Vorstoß mit der Lösung der Altschuldenproblematik zu verbinden, kann dauerhaft finanzielle Unterstützung ermöglichen und neue Möglichkeiten eröffnen.

12. Kommunale Unternehmen

Kommunale Unternehmen sind sehr unterschiedlich von Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Messen, Veranstaltungszentren, Flughäfen, Kultureinrichtungen und zoologische Gärten haben wie die Reise-, Veranstaltungs- und Freizeitbranchen über einen längeren Zeitraum hohe Einnahmeausfälle. Daher müssen kommunale Unternehmen, die in diesen Wirtschaftssektoren tätig sind, ebenfalls branchenspezifische Hilfsmaßnahmen des Bundes und der Länder diskriminierungsfrei in Anspruch nehmen können. Aber auch Verkehrsbetriebe, Bäder, Museen brauchen finanzielle Unterstützung.

Zudem sind die Länder aufgefordert, Liquiditätshilfen und Darlehensprogramme für kommunale Unternehmen aufzulegen.

13. Planen, Genehmigen und Bauen

Die Städte unternehmen alle Anstrengungen, das Planungs-, Genehmigungs- und Baugeschehen zügig zu normalisieren. Bauleitplanverfahren können weit überwiegend weiter betrieben werden, öffentliche Auslegungen finden statt. Baugenehmigungen werden erteilt, Bauvorhaben begonnen, weitergeführt und abgeschlossen. Besonders gut gelingt dies, wenn Planungen internetbasiert erstellt, geprüft, abgenommen und genehmigt werden können. Die Städte halten es für sinnvoll, die Verfahren künftig unbürokratischer zu gestalten. Bauen und Investieren aber brauchen Planungssicherheit. Ohne eine klare Perspektive zur Stützung der Investitionshaushalte werden die Kommunen ihrer Rolle als größter öffentlicher Bau-Investor nicht nachkommen können.

14. Gemeinsamer Europäischer Ansatz

Auch auf europäischer Ebene kann ein abgestimmtes Vorgehen klug sein. Die Europäische Kommission versucht, über einen Gemeinsamen Europäischen Fahrplan für die Aufhebung der Maßnahmen zur Eindämmung von COVID-19 aus der Defensive zu kommen. Ein geeigneter Weg könnte sein, in der EU einheitlich über Grenzöffnungen und die Wieder-Inkraftsetzung des Schengen-Abkommens zu entscheiden. Insbesondere Städte in Grenzregionen sind auf klare und transparente Entscheidungen angewiesen. Dies gilt etwa für die Aufhebung der Reisebeschränkungen und Grenzkontrollen.