Städtetag aktuell 6|2025
04.12.2025

Zukunft findet Stadt – Kreative Produktion als Motor einer lebendigen Innenstadt

von Dr. Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg

Die Innenstädte stehen seit Jahren vor einem tiefgreifenden Wandel. Die jahrzehntelange Dominanz des Handels reicht heute nicht mehr aus, um urbane Zentren lebendig zu halten. Digitalisierung, verändertes Konsumverhalten und die Coronapandemie haben gezeigt, dass reine Verkaufsflächen an Grenzen stoßen. Gefragt sind Orte, die Produktion, Kultur, Gemeinschaft und Innovation zusammenführen – und damit neue Anziehungskraft entfalten.

Hamburg hat früh begonnen, seine Innenstadt entsprechend weiterzuentwickeln. Ein zentrales Instrument war der in der Coronazeit entstandene Fonds Frei_Fläche: Raum für kreative Zwischennutzung, mit dem von 2021 bis Mitte 2025 leerstehende Gewerbeflächen für kreative und gemeinwohlorientierte Nutzungen geöffnet wurden. Die Hamburg Kreativ Gesellschaft übernahm dabei als Hauptmieterin und Programmmanagerin eine Schlüsselrolle. Über 200 Projekte haben so temporäre Räume erhalten und die Innenstadt mit Kunst, Design, Musik, Handwerk und sozialen Innovationen belebt. Aus einer Krisenmaßnahme wurde ein strategischer Baustein zukunftsorientierter Stadtentwicklung.

Eines der größten Projekte war die Zwischennutzung des ehemaligen Karstadt Sport am Hauptbahnhof. Auf über 8.000 Quadratmetern ist dort über mehrere Jahre das Reallabor Jupiter entstanden, mit zahlreichen Zwischennutzungen. Die Projekte des Fonds Frei_Fläche haben gezeigt, wie neue Kooperationen entstehen, wie Räume neu gedacht werden können und wie Kultur, Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung zusammenwirken.

FABRIC – Future Fashion Lab: Ein neuer Produktionsstandard für die Innenstadt

Auf diesen Erfahrungen wollen wir aufbauen. Ein herausragendes Beispiel dieser neuen Logik ist das FABRIC – Future Fashion Lab. Als Prototyp im Programm "Verborgene Potenziale Innenstadt" entstanden, zeigt es seit Mai 2024, wie urbane Produktion, Nachhaltigkeit und zukunftsorientierte Wertschöpfung zusammenwirken können. Der erfolgreiche Start als gefördertes Innovationsprojekt führte dazu, dass FABRIC nun dank eines ressortübergreifenden Schulterschlusses aus Stadtentwicklungs-, Umwelt- und Kulturbehörde mindestens für das kommende Jahr nochmals verlängert wird – ein starkes Signal für die Bedeutung kreativer Produktion im Zentrum der Stadt.

Auf über 700 Quadratmetern vereint FABRIC Design, Entwicklung, Fertigung, Nachhaltigkeit und Verkauf mit Werkstatt, Pop-up-Store, Showroom, Co-Working, Eventflächen und Café. Designer:innen können hier die gesamte Wertschöpfungskette realisieren. Professionell ausgestattete Werkstätten ermöglichen Prototypen, Einzelstücke oder Kleinserien und bieten Zugang zu Textildruck, Lasercutting, digitalen Workstations und 3D-Technologien. Das senkt Hürden, beschleunigt Innovation und stärkt insbesondere junge Talente. Ergänzende Workshops vermitteln unternehmerisches Know-how und fördern eine zukunftsfähige Modebranche.

Doch FABRIC ist mehr als eine Produktionsstätte. Es ist ein Labor für Kooperation und Austausch: Designer:innen, Hochschulen, Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten Tür an Tür, lernen voneinander und entwickeln gemeinsam neue Ansätze. Diese räumliche Nähe schafft Synergien, die in klassischen Einzelateliers kaum möglich sind.

Die Lage im Herzen der Innenstadt macht nachhaltige Modeproduktion sichtbar und erlebbar. Durch die gläserne Werkstatt, öffentliche Events und das Café wird die Produktion Teil des städtischen Alltags. FABRIC zeigt, wie Mode transparent, lokal und ressourcenschonend entstehen kann – ein Ansatz, den die hauseigene Kollektion "55555" beispielhaft verkörpert.

Eine Innenstadt, die Zukunft gestaltet – Stadtentwicklung durch kreative Produktion

FABRIC steht damit für eine grundlegende Neuorientierung: Innenstädte werden wieder zu Orten, an denen produziert wird – offen, gemeinschaftlich und technologisch fortschrittlich. Urbane Produktion bedeutet kurze Wege, transparente Prozesse und eine enge Verbindung zwischen Gestaltung, Herstellung und Öffentlichkeit. Diese Form der Nutzung fügt sich in Hamburgs umfassende Strategie kreativer Innenstadtentwicklung ein.

Wenn Innenstädte lebendig bleiben sollen, müssen sie Orte neuer Möglichkeiten sein. Räume, in denen Menschen produzieren, gestalten, sich begegnen und voneinander lernen. FABRIC zeigt, wie eine solche Zukunft aussehen kann – als Labor, Prototyp und Impulsgeber für eine Innenstadt, die nicht nur konsumiert, sondern schafft. Als Ort, der Ideen hervorbringt, Verantwortung lebt und eine nachhaltige urbane Wirtschaft fördert.

Zukunft findet Stadt – dort, wo wir ihr Raum geben.



Dr. Carsten Brosda
Senator für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg

Die Hamburg Kreativ Gesellschaft hat ihre Erfahrungen aus zahlreichen Zwischennutzungsprojekten – insbesondere aus der Kooperation mit der privaten Immobilienwirtschaft – in der Publikation "Mehr Raum für kreative Zwischennutzung" zusammengefasst. Die dort dargestellten Instrumente, Erfolgsfaktoren und Fallbeispiele bieten auch anderen Städten und Kommunen wertvolle
Anregungen, um eigene Innenstadtstrategien weiterzuentwickeln und kreative Potenziale gezielt zu nutzen: www.fabric.hamburg 

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Dieser Text ist erschienen in Städtetag aktuell 6|2025, Schwerpunkt Lebendige Innenstädte

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