Städtetag aktuell 6|2025
04.12.2025

MarktQuartier Recklinghausen – Symbol für erfolgreichen Umgang mit Leerstand

Silke Ehrbar-Wulfen, Erste Beigeordnete und Kämmerin der Stadt Recklinghausen

Als 2016 nach über 120 Jahren das traditionsreiche Karstadt-Haus in Recklinghausen seine Türen schloss, war das ein Einschnitt, der weit über den Handel hinausreichte. Der Verlust dieses Magneten hinterließ nicht nur eine Lücke in der Bausubstanz, sondern auch im Selbstverständnis der Innenstadt. Doch aus dieser Zäsur ist etwas entstanden, das heute als Leuchtturmprojekt weit über die Stadtgrenzen hinausstrahlt – das MarktQuartier Recklinghausen.

Vom Kaufhaus zur Quartiersidee

An die Stelle des klassischen Warenhauses trat ein Konzept, das den Wandel der Innenstädte ernst nimmt: eine Mischnutzung mit Zukunft. Wohnen, Pflege, Kinderbetreuung, Hotellerie, Gastronomie, Dienstleistungen und Nahversorgung wurden unter einem Dach vereint – ein Stück urbanes Leben, das in seiner Vielfalt wieder Menschen in die Innenstadt zieht.

Schon in der frühen Projektphase war klar: Eine solche Entwicklung kann nur gelingen, wenn Verwaltung, Politik und Investor eng zusammenarbeiten. Wir haben das Vorhaben zur Chefsache gemacht und das Verfahren mit großem Engagement begleitet – von der Bauleitplanung über die Gestaltung bis hin zur Einbindung in die städtischen Strategien der Innenstadtentwicklung. In Rekordzeit, nach nur zehn Monaten, wurde der vorhabenbezogene Bebauungsplan beschlossen.

Zusammenarbeit als Schlüssel

Ein Erfolgsfaktor war das partnerschaftliche Miteinander aller Beteiligten. Mit der Düsseldorfer AIP-Unternehmensgruppe fand die Stadt einen Investor, der die Vision teilte, Leerstand nicht nur zu füllen, sondern neu zu denken. Auch wenn die Bauphase durch Pandemie, Lieferengpässe und schwierige Marktbedingungen herausfordernd war – die Beharrlichkeit hat sich ausgezahlt. Heute sind rund 95 Prozent der Flächen vermietet.

Zu den neuen Ankermietern zählen Aldi, das Café Extrablatt, eine Apotheke, Praxen und ein Hotel. Darüber hinaus finden sich im Gebäude betreutes Wohnen, Kurzzeitpflege, eine Kita, Büros und Praxen – Nutzungen, die den Ort rund um die Uhr lebendig halten.

Stadtgestaltung mit Augenmaß

 

Neben der funktionalen Mischung überzeugt das MarktQuartier auch städtebaulich: Die historische Fassade wurde behutsam modernisiert, farbige Markisen und Loggien schaffen ein freundliches Erscheinungsbild. Ein begrünter Innenhof, vertikale Gärten und ein Dachspielplatz für die Kita bringen Natur in die Stadt – ein Beitrag, der Aufenthaltsqualität und Klimaanpassung verbindet.

Leerstand als Chance

Recklinghausen hat aus dem MarktQuartier gelernt: Leerstand ist kein Schicksal, sondern eine Einladung, Innenstadt neu zu denken. Die Stadtverwaltung setzt dabei auf eine klare Strategie: öffentliche Infrastruktur gezielt auf ehemalige Einzelhandelsflächen zu bringen. So ist dort, wo einst die Textilkette C&A beheimatet war, bereits seit 2018 die Stadtbibliothek untergebracht. Mit der Ansiedlung des Familienbüros konnte ein weiterer Leerstand im Herzen der Altstadt an der Großen Geldstraße beseitigt werden. An der Martinstraße sorgt zudem die Tourist Information der Stadt für zusätzliche Frequenz. Mit der Ansiedlung der Kita im MarktQuartier findet diese Strategie ihre konsequente Fortsetzung.

Diese Herangehensweise zahlt sich aus. Rund um das MarktQuartier entstehen neue Verbindungen zwischen den Quartieren, neue Wege, neue Aufenthaltsorte. Und das Projekt hat Nachahmer gefunden – sowohl in Recklinghausen selbst als auch in anderen Städten, die sich in ähnlichen Situationen befinden.

Ein starkes Signal

Das MarktQuartier zeigt: Innenstadtentwicklung ist Teamarbeit. Sie braucht Mut, klare Konzepte und einen langen Atem – aber auch Menschen, die an die Zukunft ihrer Stadt glauben. Leerstand zu bekämpfen, bedeutet heute nicht mehr, einfach neue Mieter zu suchen, sondern Lebensräume zu schaffen, die zum Verweilen, Arbeiten, Begegnen und Wohnen einladen.

Für uns in Recklinghausen ist das MarktQuartier weit mehr als ein Bauprojekt. Es ist ein Symbol dafür, dass Wandel gelingen kann – wenn Verwaltung, Politik, Investorinnen und Investoren sowie Bürgerinnen und Bürger an einem Strang ziehen.

Ausblick

Mit der Fertigstellung des MarktQuartiers gewinnt unsere Innenstadt an Attraktivität und Strahlkraft. Doch das Ziel bleibt: eine lebendige, vielfältige und resiliente Altstadt, in der neue Ideen und alte Strukturen eine Balance finden.

Oder, um es mit einem Satz zu sagen: Wir haben den Leerstand nicht nur gefüllt – wir haben ihn verwandelt.



Silke Ehrbar-Wulfen
Erste Beigeordnete und Kämmerin der Stadt Recklinghausen

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Dieser Text ist erschienen in Städtetag aktuell 6|2025, Schwerpunkt Lebendige Innenstädte

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