43. Hauptversammlung
15.05.2025

Zusammen sind wir Stadt: Für ein neues Miteinander

Die Delegierten haben zum Abschluss der Hauptversammlung die "Hannoversche Erklärung" beschlossen.

Hannoversche Erklärung des Deutschen Städtetages

"Wir leben in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche. Die Lage ist ernst. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Lösungskompetenz der Politik schwindet, die Wirtschaft stagniert, die geopolitischen Zusammenhänge sind unübersichtlich. Es herrscht Krieg in Europa. Die Debatten vor Ort werden polarisiert. Die Städte und Gemeinden sind die kleinsten und zugleich wichtigsten Einheiten der Demokratie. Sie sind das Band zu den Menschen. Deswegen müssen sie stark und widerstandsfähig sein. Diese Stärke und die Gestaltungskraft gehen verloren. Bund und Länder sind in der Pflicht, die Gestaltungskraft der Städte wieder herzustellen. Die Stärke Deutschlands beruht insbesondere auf handlungsfähigen Kommunen. Der kommunalen Ebene werden immer mehr Aufgaben übertragen, ohne deren Finanzierung annähernd sicherzustellen.

Wir brauchen starke kommunale Finanzen. Wir brauchen mehr Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Städte, deutlich weniger Vorgaben und Regulierung sowie einen stärkeren Fokus auf die Wirtschaftskraft. Wirtschaft findet vor Ort in den Städten statt und braucht bessere Rahmenbedingungen.

Wir brauchen eine grundlegende Korrektur der Zusammenarbeit der Ebenen. Wir erwarten Augenhöhe.

Städte waren und sind immer im Wandel. Die Städte sind Expertinnen dafür, eine gute Zukunft für alle zu gestalten. Städte können Halt geben in Zeiten des Umbruchs. Mehr noch: Sie können aus dem Umbruch einen Aufbruch machen. Mit dem Mut zu Veränderungen und mit dem Anspruch, das Leben der Menschen in unseren Städten besser zu machen. Dazu stehen wir bereit.

1. Zusammen sind wir Stadt: Mit starken kommunalen Finanzen

Die finanzielle Situation der Kommunen muss sich grundlegend verbessern. Aus dem Rekorddefizit des vergangenen Jahres von fast 25 Milliarden Euro werden die Städte aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen.

Die Kommunen tragen ein Viertel der staatlichen Ausgaben, haben aber nur ein Siebtel der staatlichen Einnahmen. Das geht so nicht mehr. Der angekündigte Zukunftspakt von Bund, Ländern und Kommunen muss die Städte finanziell stärken. Der erste notwendige wichtige Schritt muss ein deutlich höherer Anteil an den Gemeinschaftssteuern sein. Einnahmeausfälle der Kommunen durch Steuersenkungen sind in vollem Umfang auszugleichen. Die Gewerbesteuer darf nicht angetastet werden.

Dem Sondervermögen müssen Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung folgen, damit das Geld zu den Städten und damit vor Ort auf die Straße kommt. Bei allen Mitteln aus dem Sondervermögen ist die städtische Infrastruktur zu berücksichtigen. Die Verteilung muss über pauschale Budgets erfolgen, Kofinanzierung der Städte sind auszuschließen. Die Städte müssen hier an den Verhandlungstisch.

2. Zusammen sind wir Stadt: Mit guter Gesetzgebung und digitalen Verfahren

Städtische Verwaltung soll den Menschen dienen. Dafür brauchen wir gute und praxisnahe Gesetze. Das schafft Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Jedes neue Gesetz muss gemeinsam mit den Städten darauf überprüft werden, ob es wirklich notwendig ist und wie es sich vor Ort umsetzen lässt. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich nachdrücklich gegen die ausufernde Bürokratie der Europäischen Union einsetzt. Von Beginn an.

Neue Gesetze müssen digital gedacht werden – mit einfachen und automatisierbaren Verfahren. Aufgaben ohne kommunalen Gestaltungsspielraum – wie die Kfz-Zulassung oder der Antrag auf Elterngeld – sollten zentral und digital durch Bund oder Länder erbracht werden. So können sich die Städte auf das konzentrieren, was sie am besten können: gestaltende Politik für die Menschen vor Ort.

Künstliche Intelligenz (KI) bietet großes Potenzial für Städte: etwa für bessere Bürgerservices oder als ein Baustein gegen den Fachkräftemangel. KI braucht einen kommunalfreundlichen rechtlichen Rahmen, damit Städte KI für die Bürgerinnen und Bürger vertrauenswürdig einsetzen können.

3. Zusammen sind wir Stadt: Mit Sicherheit vor Ort und Schutz im Krisenfall

Die Menschen in unseren Städten müssen auch im öffentlichen Raum sicher sein. Nur dann bleibt die Stadtgesellschaft lebendig. Stadtfeste, auch Weihnachtsmärkte, sind Gelegenheiten, den Zusammenhalt zu festigen. Diesen öffentlichen Raum dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Dieses Miteinander zu ermöglichen und zu schützen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Städte nehmen Warnungen vor Terroranschlägen ernst und passen ihre Maßnahmen kontinuierlich an, um Risiken zu minimieren. Die finanziellen Lasten für notwendige Schutzmaßnahmen müssen aber von Bund und Ländern getragen werden. Neben der objektiven Sicherheit ist auch die gefühlte Sicherheit für das Vertrauen in den öffentlichen Raum wichtig, daher gehören Sicherheit und Sauberkeit zusammen.

Auch die aktuelle geopolitische Lage sorgt bei den Menschen für Unsicherheit. Unsere Städte sind eine entscheidende Säule des Zivilschutzes. Das Thema muss viel ernster genommen werden. Die geopolitische Lage ist dramatisch. Neue Bedrohungsszenarien für die Städte und Cyberangriffe auf die kritische Infrastruktur sind realistisch. Im Ernstfall sind die kommunalen Einsatzkräfte die ersten vor Ort, sie müssen schnell warnen und direkt handeln. Wichtig ist, diese Strukturen in enger Zusammenarbeit mit Bund und Ländern zu stärken und Informationsflüsse sicherzustellen. Städte dürfen nicht die letzten in der Informationskette sein. Die neuen finanzpolitischen Spielräume sind auch für diese Aufgaben zu verwenden. Wichtig ist auch, dass sich die Menschen mit einem möglichen Ernstfall beschäftigen. Wir müssen die Eigenverantwortung der Bevölkerung wieder stärken.

4. Zusammen sind wir Stadt: Mit Integration in Gesellschaft und Arbeit

Zuwanderung ist Teil unserer urbanen Realität. Menschen kommen aus den unterschiedlichsten Gründen zu uns. Wir müssen Migration differenziert betrachten: Migration braucht Regeln, Integration braucht Unterstützung – und beides gemeinsam schafft die Grundlage für ein gutes friedliches und starkes Zusammenleben. Damit Integration gelingt, braucht es verlässliche Strukturen, ausreichend Ressourcen und klare Zuständigkeiten. Mit unserer Integrationsarbeit in den Städten sorgen wir dafür, dass Menschen aktiv zum Zusammenhalt unserer Stadtgesellschaft beitragen. Aber die Herausforderungen sind groß: Die soziale Infrastruktur ist durch die Unterbringung und Integration von Geflüchteten in den vergangenen Jahren vielerorts an ihre Grenzen gelangt. Deshalb brauchen wir eine Migrationspolitik von Bund und Ländern, die kommunale Bedarfe ernst nimmt und dauerhaft finanziell absichert.

Integration in den Arbeitsmarkt muss einfacher werden. Wir brauchen eine schnellere Anerkennung von Ausbildungs- und Berufsabschlüssen. Die von der neuen Bundesregierung angekündigte Agentur für Fachkräfteeinwanderung und eine Berufsanerkennung innerhalb von acht Wochen sind ein guter Schritt.

5. Zusammen sind wir Stadt: Mit guter Stadtentwicklung von Wohnen bis Verkehr

Wohnen in der Stadt muss bezahlbar sein. Wir brauchen dringend eine am Gemeinwohl orientierte Wohnungs-, Bau- und Bodenpolitik. Neubau ist notwendig, muss aber zielgerichtet sein und benötigt mehr Förderung. Wir brauchen mehr Modernisierung im Gebäudebestand und mehr Handhabe gegen Spekulation und Zweckentfremdung. Städtische Vorkaufsrechte müssen gestärkt und der Schutz vor überhöhten Mieten wirksamer werden. Es ist gut, dass die neue Bundesregierung den sozialen Wohnungsbau ausbauen und einen Investitionsfonds für Wohnungsbau auflegen will. Darüber hinaus müssen präventive Maßnahmen wie Beratungs-, Unterstützungs- und Beschäftigungsprogramme konsequent mit Wohnungsbauförderungen verzahnt werden, um Wohnungslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Wir werden zunehmende Wohnungslosigkeit in unseren Städten nicht hinnehmen. Gleichzeitig muss die Eigentumsquote wirksam erhöht werden. Zusätzlich muss endlich eine Novelle des Baugesetzbuches kommen, damit Bauen deutlich einfacher wird.

Mobilität in der Stadt bedeutet mehr, als die Wegstrecke von A nach B zurückzulegen. Mit gut ausgebauten, preiswerten und nachhaltigen Verkehrsangeboten sorgen Städte auch für soziale Teilhabe und Zusammenhalt. Eine verlässliche Verkehrsinfrastruktur schafft Verbindungen zwischen Menschen und ermöglicht Begegnungen. Sie fördert Arbeit, Bildung und Kultur. Damit das so bleibt, muss die Finanzierung des ÖPNV zukunftsfest werden. Wir brauchen endlich einen Ausbau- und Modernisierungspakt für einen stabilen und nachhaltigen ÖPNV zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Die neue Bundesregierung muss die Verhandlungen wieder aufgreifen.

6. Zusammen sind wir Stadt: Mit Einsatz fürs Klima

Wenn Hitzewellen krank machen und Hochwasser unser Zuhause gefährdet, dann wird klar: Klimaschutz und Klimaanpassung sind zum Kernthema der Städte geworden. Wir müssen Risiken identifizieren und vorausschauend handeln, damit unsere Städte lebenswert und sicher bleiben. Durch gezielte Klimaanpassungsmaßnahmen – Stadtgrün und Wasserspeicher, hitzeresiliente Planung und Sensibilisierung der Bevölkerung – lassen sich die Folgen des Klimawandels in den Städten abmildern. Die Kosten dafür werden allein in Ländern und Kommunen auf 55 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 geschätzt. Neben den Kosten der Klimaanpassung werden auch für den Klimaschutz Zukunftsinvestitionen in Milliardenhöhe benötigt. Wir müssen mit Bund und Ländern gemeinsam klären, wie das finanziert wird. Neue Finanzierungswege sind nötig. Etwa ein Energiewendefonds, in den sowohl öffentliches als auch privates Kapital fließt.

Ein zentraler Baustein für Klimaschutz in den Städten ist die Wärmewende, die gleichzeitig auch die Resilienz bei der Versorgung verbessert. Hierfür müssen Wärme-, Gas- und Stromnetze im großen Stil angefasst, Gebäude um- und Fernwärme ausgebaut werden. Vor diesem Hintergrund arbeiten die Städte mit Hochdruck an den Wärmeplanungen und suchen nach passgenauen Lösungen. Nach dem Plan beginnen die eigentlichen Herausforderungen. Dann geht es um Genehmigungen und Investitionen in die Infrastruktur. Die neue Bundesregierung darf hier keine neuen Unsicherheiten schaffen.

7. Zusammen sind wir Stadt: Mit guter Bildung, die Chancen schafft

Bildung formt die Zukunft unserer Städte. Ohne Bildung keine Chancengerechtigkeit. Zukunftschancen dürfen nicht vom sozialen Hintergrund abhängen. Dafür haben die Städte viel getan: vom Ausbau der Kindertagesbetreuung über moderne Schulen mit Ganztagsbetreuung, über schulische und außerschulische Bildungsangebote bis hin zu Volkshochschulen und Musikschulen. Wir wollen, dass Kinder gleiche Startchancen haben und dass Menschen jeden Alters teilhaben können. Der Weg dorthin ist lang. Gerade im Schulbereich müssen jetzt wichtige Weichen für die Zukunft gestellt werden. Es ist gut, dass für die notwendige Digitalisierung an Schulen jetzt der Digitalpakt 2.0 kommen soll. Langfristig braucht es für digitale Bildung aber keine Förderprogramme, sondern eine dauerhafte Finanzierung durch die Länder. Daueraufgaben müssen auch dauerhaft finanziert sein. Gut, dass im Koalitionsvertrag sowohl die Weiterentwicklung des Startchancen-Programms als auch ein Schulsanierungsprogramm angekündigt sind. Hier brauchen wir konkrete Aussagen.

8. Zusammen sind wir Stadt: Mit guten Gesundheitsleistungen und starken Kliniken

Lebenswerte Städte brauchen eine gute Gesundheitsversorgung. Während das Praxissterben im ländlichen Raum seit Jahren in der öffentlichen Diskussion ist, stehen die Städte bei dem Thema selten im Fokus. Doch auch in den Ballungsräumen gibt es zunehmende Ungleichheit in der ärztlichen Versorgung. Insbesondere in sozial benachteiligten Stadtteilen steigt die Zahl der Menschen, die nur schwer Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten. Die Städte engagieren sich deshalb oft über ihre gesetzlichen Verpflichtungen hinaus in der Gesundheitsversorgung. Der öffentliche Gesundheitsdienst ist permanent gefordert. Die Mittel des Bundes dafür müssen deshalb verstetigt werden.

Das reicht von kommunalen Arztpraxen bis hin zum Einsatz erheblicher Finanzmittel, um die Funktionsfähigkeit der kommunalen Kliniken zu sichern. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen Wege, die ambulante Versorgung für alle Menschen in den Städten sicherzustellen. Die Krankenhausreform des Bundes muss fortentwickelt, die Finanzierungslücke der Krankenhäuser schnell geschlossen werden.

9. Zusammen sind wir Stadt: Mit Respekt, Vielfalt und Gleichstellung

Städte sind das Fundament unseres Zusammenlebens. Hier entsteht Gemeinschaft. In unseren Städten engagieren sich Tag für Tag Menschen für das Gemeinwohl – im Ehrenamt, aber auch im Hauptamt. Ob Einsatzkräfte, Beschäftigte in der Verwaltung oder kommunale Amts- und Mandatsträger: Sie alle verdienen Anerkennung und Respekt. Viele von ihnen sind mehr und mehr Anfeindungen, Bedrohungen oder gar tätlichen Angriffen ausgesetzt. Dem müssen wir entschlossen entgegentreten. Es ist ein wichtiges Signal, dass die bundesweite Ansprechstelle zum Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger fortgeführt werden soll.

Unsere Städte sind Städte für alle. Wenn Menschen wissen, dass sie nicht aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder sexuellen Orientierung benachteiligt oder ausgegrenzt werden, fühlen sie sich als gleichwertige Mitglieder der Stadtgesellschaft. Das ist die Voraussetzung dafür, dass jede und jeder sich aktiv und engagiert in die Gemeinschaft einbringt. Dieses Engagement brauchen wir mehr denn je. Wir können auf keine einzige Stimme für Demokratie und Zusammenhalt verzichten.

Wir wollen mehr Frauen für die Politik gewinnen. Auch deswegen sind wir auf eine wirksame Gleichstellungspolitik angewiesen: In Parteien, in den kommunalen Gremien, in Verbänden und Vereinen. Noch immer ist der Anteil von Frauen in der Politik zu niedrig. Auch in der Kommunalpolitik. Wir werden weiter Wege suchen, mehr Frauen für ein politisches Amt zu gewinnen oder in ihrem Amt zu stärken.

10. Zusammen sind wir Stadt: Mit und in Europa – und international

Europa braucht starke Städte – und Städte brauchen ein starkes Europa. Die Städte leben den europäischen Gedanken, brauchen aber mehr Mitspracherecht auf europäischer Ebene und deutlich weniger Regulierung. Subsidiarität muss geachtet und praktiziert werden. Dazu müssen die Städte in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werden. Und wir brauchen eine zuverlässige, dezentrale Kohäsionspolitik als Voraussetzung für Stabilität in Europa.

Wir brauchen auf internationaler Ebene außerdem eine stärkere Rolle für Urban Diplomacy in der Außenpolitik. Der konkrete und praxisnahe Austausch der Städte kann vor allem dann eine zentrale Rolle spielen, wenn der Austausch auf nationalstaatlicher Ebene belastet ist. Im rasanten Wandel der Weltordnung kann Städtediplomatie eine gute verbindende Rolle spielen. Die Bundesregierung muss dieser Bedeutung Rechnung tragen."