"Größte kommunale Finanzkrise im Nachkriegsdeutschland"
Burkhard Jung, Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister aus Leipzig beantwortete Fragen der Wochenzeitung "Das Parlament" zum Thema Kommunalfinanzen.
Das Parlament: Was bedeuten die Ergebnisse der Steuerschätzung für die Kommunen?
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Costa Belibasakis
Burkhard Jung: Die Steuerschätzung ist alarmierend für die Städte, aber nicht überraschend. Die Ergebnisse bestätigen einmal mehr eine katastrophale kommunale Finanzlage.
Wir erleben gerade die größte kommunale Finanzkrise im Nachkriegsdeutschland. Investitionen sind vielerorts bitternötig, aber die Gestaltungskraft der Städte schwindet, wenn nur noch über den Mangel entschieden werden kann. Das darf nicht so bleiben. Denn es geht dabei nicht nur um Finanzpolitik, sondern auch um die Zukunft unserer Demokratie.
Die Menschen erleben den Staat ganz handfest vor Ort. Dort gehen ihre Kinder in die Kita oder zur Schule, sie wollen ihr Eigenheim ausbauen oder brauchen Unterstützung für ihren Verein, sie möchten ein gutes Kultur- und Sportangebot wahrnehmen und sich sicher fühlen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Dinge vor Ort funktionieren, dass die Leute sich darauf verlassen können.
Das Parlament: Wie werden die Bürger konkret spüren, dass den Kommunen weniger Geld zur Verfügung steht, gern auch am Beispiel der Stadt Leipzig.
Burkhard Jung:
Der Spar- und Konsolidierungsdruck wächst immens. Selbst viele Städte, die immer einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen konnten, kommen jetzt ins Schlingern, und das quer durch die Republik. Etliche Städte werden gezwungen sein, in den kommenden Jahren Personal abzubauen. Investitionen werden aufgeschoben oder sogenannte freiwillige Aufgaben auf den Prüfstand gesetzt.
Auch in meiner Stadt Leipzig stehen wir vor Kürzungen und Personalabbau. Die Vereinsförderungen des Sports, im Sozialen und der Kultur wurden eingefroren. Die Diskussionen vor Ort werden hart geführt. Aber die strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte können die Städte nicht aus eigener Kraft reparieren, da müssen Bund und Länder unterstützen.
Das Parlament: Wie sind die Vorhaben zur Tilgung von Altschulden im Koalitionsvertrag zu bewerten?
Burkhard Jung: Es ist gut, dass die Koalition auch das kommunale Altschuldenthema aktiv anpacken und sich beteiligen will. Für eine nachhaltige Lösung, die die betroffenen Städte von Altschulden befreit, brauchen wir den Bund. Das unterstützen wir als Städtetag unbedingt und haben lange dafür gekämpft.
Das Parlament: Welche Anforderung sind aus kommunaler Sicht an das Einrichtungsgesetz zum Sondervermögen zu stellen?
Burkhard Jung:
Ein Sondervermögen des Bundes für Investitionen macht nur Sinn, wenn diese Investitionen zügig umgesetzt werden können. Dafür brauchen wir ganz schlanke Verfahren, am besten feste Budgets für die Städte, ohne komplizierte Anträge und Mittelnachweise. Wir brauchen große Entscheidungsspielräume vor Ort. Für die Mittel sollten auch strukturelle Merkmale, wie Arbeitslosenquote oder Investitionsbedarf berücksichtigt werden.
Und dem Infrastrukturpaket muss ein Paket zum Bürokratieabbau folgen. Die Menschen sollen merken, dass etwas vorangeht. Dafür brauchen wir mehr Beinfreiheit im kommunalen Planungsrecht und bei der Auftragsvergabe. Das Sondervermögen allein wird auch unser Finanzproblem nicht lösen können, aber es ist eine große Chance. Es verhindert hoffentlich, dass die kommunalen Investitionen in der aktuellen Haushaltskrise zu stark einbrechen. Wichtig ist jetzt, dass zwei Drittel des Geldes tatsächlich in den Kommunen landet, wie es deren Anteil an den öffentlichen Investitionen entspricht.
Das Parlament: Ist eine grundlegende Reform der Finanzbeziehung zwischen Bund, Länder und Kommunen nötig, und falls ja, wie sollte diese aus kommunaler Sicht aussehen?
Burkhard Jung:
Den Städten werden von Bund und Ländern immer mehr Aufgaben übertragen, ohne deren Finanzierung annähernd sicherzustellen. Damit muss Schluss sein. Das heisst, Konnexität muss für alle staatlichen Ebenen gelten.
Auch die kommunalen Sozialausgaben, auf die wir kaum Einfluss haben, laufen uns davon. Wir erleben zweistellige Zuwachsraten jedes Jahr. Bei den Kommunen liegt etwa ein Viertel der gesamtstaatlichen Aufgaben, sie haben aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Deshalb ist klar, wir brauchen einen größeren Anteil von den Gemeinschaftssteuern, zum Beispiel der Umsatzsteuer, denn wir müssen aus der strukturellen Unterfinanzierung raus. Und wenn die neue Bundesregierung und die Länder Steuererleichterungen auf den Weg bringen, müssen die Einnahmeausfälle der Kommunen komplett ausgeglichen werden.
Das Parlament: Wie sollte die Gewerbesteuer aus kommunaler Sicht reformiert werden?
Jung: Die Gewerbesteuer ist eine gute Gemeindesteuer. Sie ist eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Städte, damit Schulen, Straßen und Kindergärten, kurz das gesellschaftliche Leben in den Städten finanziert wird. Sie bildet außerdem ein starkes Band zur lokalen Wirtschaft, denn die Städte haben selbst ein großes Interesse, dass es der Wirtschaft vor Ort gut geht. Die Gewerbesteuer hat sich über die Jahrzehnte hinweg bewährt und ist ein Erfolgsmodell, das fortgeschrieben werden sollte.